Playland USA

D 2019, Regie: Benjamin Schindler, 88 Min., OmU

Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, der Träume, der Freiheit, des Elends: Die Vereinigten Staaten üben schon seit Beginn ihrer durchaus blutigen Geschichte eine mächtige Faszination aus. Oftmals sind in den märchenhaften Bildern der USA Realität und Fiktion kaum zu unterscheiden, sie changieren zwischen Klischee, Sehnsucht und Mythos. Wo sonst kann man mit einer Geisterjägerin, einem Weihnachtsmann und einem UFO-Gläubigen ernsthafte Gespräche führen? Dokumentarfilmer Benjamin Schindler nimmt sich dieser Faszination an und erstellt ein essayistisches Portrait des Mysteriums USA, ohne dabei strukturelle Probleme wie Rassismus und Geschichtsrevisionismus unter den Teppich zu kehren.

Schindlers Bilder mit ihren majestätischen Fahrten und grandiosen Widescreen-Kompositionen sind von großer ästhetischer Kraft, von erlesener Schönheit; sie sprechen meist für sich, kommen ohne Voice-over und strukturierende Elemente aus. Schindler bringt sie in einen langen, assoziativen Fluss, lässt vieles für sich stehen, sucht nicht einmal nach Bedeutung oder Wertung. Er ist kein Geschichtenerzähler, auch kein Analytiker, eher ein Formalist auf der Suche.
Frank Schnelle, epd-film

Wie konnte Trump zum 45. Präsident der USA werden? Diese Frage stellt indirekt auch der deutsche Regisseur Benjamin Schindler. […] „Mich interessiert, inwieweit amerikanische Mythen der Popkultur und des Kinos Eingang in die Politik und somit in unsere Realität finden und wie Erzählweisen genutzt werden, um beispielsweise die Notwendigkeit von Kriegseinsätzen vor der Bevölkerung zu rechtfertigen oder schlicht Konsumgüter besser zu verkaufen.“ Das Ergebnis des jungen Regisseurs verblüfft.
Jochen Kürten, Deutsche Welle

Futur Drei

D 2019, Regie: Faraz Shariat, mit Benjamin Radjaipour, Hadi Khanjanpour, Knut Berger, Maryam Zaree, 92 Min., teilw. farsi OmU

Parvis wächst in Hildesheim in komfortablem Wohlstand auf. Seine aus dem Iran eingewanderten Eltern haben sich den in 30 Jahren hart erarbeitet. Das langweilige Provinzleben versucht er durch Popkultur, Grindr-Dates und Raves bunter zu machen. Nach einem Ladendiebstahl muss Parvis Sozialstunden als Übersetzer für geflüchtete Menschen leisten und lernt dort die iranischen Geschwister Banafshe und Amon kennen. Zwischen ihnen entwickelt sich eine fragile Dreierbeziehung, da sie alle auf unterschiedliche Weise nicht in diesem Land zu Hause sind.
In seinem queeren und autobiografischen Regiedebut erzählt Faraz Shariat sensibel und witzig vom Aufwachsen und Zusammenleben mehrerer Generationen im Einwanderungsland Deutschland. Ein kraftvolles Plädoyer für Diversität. Ausgezeichnet auf der Berlinale 2020 mit zwei Teddys, u.a. Bester Spielfilm, und als bester Nachwuchsfilm bei den First-Steps-Awards 2019.

Faraz Shariat ist mit „Futur Drei“ ein Film gelungen, der das Herz am rechten Fleck hat und einen sehr wertvollen Beitrag zum aktuellen Flüchtlings-Diskurs beiträgt. Dabei ist er erfrischend lustig, ungewohnt unbeschwert und verliert seine wichtige, anti-rassistische Message trotzdem nie aus dem Auge: die Zukunft gehört uns! Uncut Movies

Das Ergebnis ist beeindruckend. Nicht nur der vielschichtigen Perspektiven wegen, die zeigen, dass deutscher Film auch anders kann als heteronormative Geschichten weißer Figuren zu erzählen. Auch die visuelle Ästhetik macht Futur Drei außergewöhnlich. Halb Musikclip, halb dokumentarisches Homevideo wächst der Film noch während der Handlung – bis er am Ende ein echtes Arthouse-Meisterwerk wird. Zeit online, ze.tt

Uferfrauen – Lesbische L(i)eben in der DDR

D 2019, Regie: Barbara Wallbraun, 115 Min., Publikumspreis Lesbisch Schwule Filmtage Hamburg 2019

Wie sah lesbisches Leben in der DDR aus? Lange hielt sich der Trugschluss, man habe es als Lesbe im Osten einfacher gehabt als im Westen. Dabei führten viele Lesben in der DDR ein gewöhnliches, den heteronormativen Ansprüchen genügendes Leben, mit Mann und Familie – ihre gleichgeschlechtlichen Liebschaften mussten oftmals im Geheimen stattfinden, aus Angst vor staatlicher Repression und Überwachung durch die Stasi.
Lesbische Realitäten gehören noch immer zu den unterrepräsentierten Themen in der Aufarbeitung queerer deutscher Geschichte. In ihrem Debutfilm holt Barbara Wallbraun sechs Zeitzeuginnen vor die Kamera, die von ihren Lebensumstände als lesbische Frau in der DDR schildern.

Ein wichtiges Stück Oral History zu privater Hypokrisie, staatlicher Repression und aufmüpfigem Eigensinn... (Silvia Hallensleben / epd-film)

Ein wichtiges Zeitdokument – und eine Blaupause für die Zukunft. (missy-magazine)

Die Widerständigen – Mit ihrem Dokumentarfilm „Uferfrauen - Lesbisches L(i)eben in der DDR“ beleuchtet Barbara Wallbraun auf eindringliche Weise ein bisher wenig beachtetes Kapitel queerer Zeitgeschichte. (Nadine Lange / Tagesspiegel)

Eine private Angelegenheit

Una questione privata – I 2017, Regie: Paolo Taviani, Buch: Paolo und Vittorio Taviani, mit Luca Marinelli, 84 Min., ital. OmU

Italien gegen Ende des zweiten Weltkriegs: Der junge Partisan Milton sucht im Chaos der Kriegswirren in den Bergen des Piemonts nach seinem Freund Giorgio. Dabei gelangt er zur Villa, in der die jungen Männer unbeschwerte Tage mit ihrem gemeinsamen Schwarm Fulvia verbracht hatten. Doch das ist Vergangenheit. Fulvia ist vor dem Krieg ans Meer geflohen, Giorgio im Einsatz bei einer anderen Brigade der Partisanen. Vor dem Grauen des Krieges flüchtet sich Milton in die schönen Erinnerungen. Als er hört, dass Georgio gefangen genommen wurde, sucht er nach einer feindlichen Geisel zum Austausch für ihn.
„Eine private Angelegenheit“ ist, nach 63 Jahren gemeinsamer Regie, der letzte Film der Brüder Taviani. Vittorio schrieb noch mit Paolo am Buch, starb aber vor Beginn der Dreharbeiten.

Wenn Paolo und Vittorio Taviani nun einen Film vorlegen, der in der Zeit der Resistenza in Italien angesiedelt ist und auf dem legendären Buch dazu beruht, dem 1963 posthum publizierten Roman Una questione privata (Eine private Angelegenheit) von Beppe Fenoglio, dann auch, weil sie im gegenwärtigen Italien die Notwendigkeit des Widerstands wieder verspüren. «Der Antifaschismus ist zurück als ein Thema von großer Aktualität», hat Paolo Taviani in einem Interview gesagt. (Walter Ruggle / trigon-film)

Der Film scheint aus einer anderen Kinoepoche hinüberzuwehen, wirkt aber nicht entrückt. Paolo hat ihn so gedreht, wie er und Vittorio es immer taten: mit Darstellern, deren Spiel einfach und ergriffen ist; mit Bildkompositionen, die gern eine Symmetrie in der Weltordnung entdecken würden, sich aber deren Ungleichgewicht nicht verschließen; schließlich mit Momenten von immensem Pathos, die Poesie finden im Alltag. (Gerhard Midding / www.epd-film.de)

Sag du es mir

D 2019, Regie: Michael Fetter Nathansky, mit Christina Große, Marc Ben Puch, Gisa Flake, 104 Min.

Ein Unbekannter hat Monis Schwester Silke völlig grundlos von einer Brücke geschubst. Nach diesem verstörenden Angriff auf ihre kleine Schwester kehrt Moni aus Spanien in ihre Heimat nach Potsdam zurück. Silke ist zum Glück mit einem Schrecken und einer Halskrause davongekommen. Die Polizei tut den Angriff als Tat eines Betrunkenen ab, doch damit will Moni sich nicht zufrieden geben. Sie beginnt, auf eigene Faust zu ermitteln, obwohl Silke dagegen ist. Der Täter ist schnell gefunden. Doch warum er es getan hat, kann René selber nicht mehr nachvollziehen. Er hat einen soliden Job, eine gute Beziehung zu seinen Eltern, enge Freundschaften. Bald zeigt sich, dass nichts so ist, wie es anfangs schien und sich die Wahrheit zwischen viel zu vielen Lügen versteckt. Ein Wechselspiel aus drei Perspektiven beginnt, ein dramaturgischer Tanz zwischen drei Menschen, zwischen Täter und Opfer, Selbstzweifeln und der Suche nach Vergebung.
„Sag du es mir“ gewann 2019 den Filmkunstpreis des 15. Festivals des deutschen Films Ludwigshafen am Rhein.

Die reduzierten Dialoge, der unterschwellige Witz, die nie ganz auserzählten Beziehungen, die am Nicht-Reden oder Aneinander-Vorbeireden scheitern. Und dann ist da der brandenburgische Dialekt, der den Film durchzieht und zumindest Einheimischen sofort dieses gewisse Zu-Hause-Gefühl vermittelt.
(Potsdamer Neue Nachrichten)

Winterreise

D/DK 2019, Regie: Anders Østergaard & Erzsébet Rácz, mit Bruno Ganz, Leonard Scheicher, Izabella Nagy, 88 Min., engl. OmU

Günther Goldschmidt und seine Frau Rosemarie haben es die längste Zeit ihres Lebens genauso gemacht wie viele andere Überlebende Nazi-Deutschlands: die Vergangenheit ruhen gelassen. Selbst als erwachsener Mann weiß Martin nur wenig über die Lebensumstände seiner Eltern vor ihrer Flucht in die Vereinigten Staaten im Jahr 1941. Als seine Mutter stirbt, wird das Schweigen jedoch unerträglich. Endlich konfrontiert er seinen Vater mit dessen Vergangenheit.
In ungewöhnlicher filmischer Hybridform zwischen fiktionalen Elementen der Inszenierung und dokumentarischer Aufarbeitung erzählt Anders Østergaard die wahre Geschichte eines jüdischen Musikerpaars aus Oldenburg. Der Film basiert auf der realen Familiengeschichte des US-Amerikanischen Radiomoderators Martin Goldsmith, der in Arizona aufwuchs und lange nicht wusste, was seine Eltern erlebt hatten, bevor sie 1941 entkamen. Der Film über die Familie Goldschmidt zeigt den wunderbaren Bruno Ganz in seiner letzten Rolle.

Spannende und berührende Filmerzählung über Identität, Musik, Liebe in und nach dunklen Zeiten.
(Ute Bolmer / dokfest-muenchen)

Es ist eine teils märchenhaft anmutende Liebesgeschichte und Hommage an die Musik, die es möglich macht(e), die Gegenwart zu vergessen, aber auch den Schmerz der Vergangenheit heraufzubeschwören.
(Anna Steinbauer / Süddeutsche Zeitung)

Weitere Informationen und filmisches Material von Farschid Ali Zahedi, der Martin Goldsmiths Spurensuche in Oldenburrg dokumentarisch begleitet hat, finden sich auf werkstattfilm.de

Chichinette – Wie ich zufällig Spionin wurde

D/F 2019, Regie: Nicola Alice Hens, 86 Min., frz./engl. OmU

60 Jahre lang schwieg Marthe Cohn alias Chichinette über ihre unglaubliche Lebensgeschichte und wie sie es schaffte, als Spionin die Nazis zu bekämpfen. Auch ihr Mann wusste nichts. Es begann, als Marthe Hoffnung, eine französische Jüdin aus Metz, im Krieg ihren Verlobten und ihre Schwester verlor. 1945 entschied sie sich, als Spionin für die Alliierten in Nazi-Deutschland für das Ende des Krieges zu kämpfen. Dann sprach Marthe 60 Jahre nicht mehr darüber. Heute, im Alter von 98 Jahren, bereist sie die Welt und vermittelt ihre Botschaft an Menschen aller Generationen: „Es ist immer möglich, gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen, auch unter den schlimmsten Umständen“.
Nicola Alice Hens` Film zeichnet, teils in animierten Bildern, Marthes Lebensweg nach und beobachtet, wie sie mit der liebevollen Unterstützung ihres Mannes Major mit fast manischem Eifer die Welt bereist. Denn viel Zeit bleibt in ihrem Alter nicht. Marthe hat Charakter und schnell wird klar, warum sie damals „Chichinette“ – kleine Nervensäge – genannt wurde. Mit Schlagfertigkeit und Charme fesselt Marthe ihr Publikum bei ihren Vorträgen.

Martha Cohn, eine gebürtige Jüdin, schleuste sich im Zweiten Weltkrieg nach Deutschland ein, um dort für Frankreich die Nazis auszuspionieren. Ein Dokumentarfilm erzählt jetzt, was sie selbst jahrzehntelang verschwieg. (CAPRICIO Kulturmagazin)

„Sie hat eine interessante Persönlichkeit, ihre Jugendlichkeit und Neugierde verbinden sich mit Altersweisheit und einer gewissen Besessenheit“, sagt Hens über Cohn, die aus einer orthodoxen jüdischen Familie namens Hoffnung stammt und zur 'abgebrühten' Spionin wuchs. (www.mz-web.de)

Über Nicola Alice Hens, Kamerafrau, Filmemacherin und Dozentin:
Der teil-animierte Dokumentarfilm “Chichinette – Wie ich zufällig Spionin wurde” ist ihr Langfilm-Debüt. Filme, die sie als Kamerafrau oder Regisseurin umsetzte, wurden weltweit gezeigt und ausgezeichnet, u.a. DOK Leipzig, Jerusalem Filmfestival, Reykjavik Filmfestival, Festival dei Popoli Florence, DOK NYC, Documentary Filmfestival Palm Springs, DocAviv, Dok.fest München, Filmfest Dresden. Mehr infos unter www.nicolahens.de

Schlaf

D 2020, Regie: Michael Venus, mit Sandra Hüller, Gro Swantje Kohlhof, Marion Kracht, August Schmölzer, 102 Min.

Im Hotel Sonnenhügel, tief in der deutschen Provinz, spielen sich schreckliche Dinge ab – zumindest in den Albträumen, von den Marlene immer wieder geplagt wird. Nachdem sie herausfindet, wo das Hotel ist, fährt sie spontan dorthin. Doch schon kurz nach der Ankunft am Ort ihrer schlaflosen Nächte erleidet sie einen Zusammenbruch und muss eingewiesen werden. Ihre Tochter Mona findet sie in einem komaähnlichen Zustand in der örtlichen Klinik. Mit den Traumtagebüchern ihrer Mutter ausgerüstet, bezieht Mona selbst ein Zimmer im Hotel, um herauszufinden, was passiert ist. Doch je tiefer Mona in der Geschichte des Sonnenhügels gräbt, desto mehr stößt sie bei den Hotelbesitzern auf Widerstand. Und als sie auch noch von denselben Albträumen heimgesucht wird wie ihre Mutter, vermischen sich Traum und Realität.

Deutsche Twin Peaks… Ruhig und dräuend entfaltet Regisseur Michael Venus in „Schlaf“ einen leisen Horror, der vor allem von Andeutungen, von kurzen Verschiebungen und Rissen in der Wahrnehmung lebt. Hier gibt es keine Zombies oder Monster, hier reichen Wildschweine und eine blasse blonde Frau für Gänsehautmomente. Ausstattung, Kamera, Kostüm, Szenenbild schaffen ein wunderbar stimmiges Setting, das nur vereinzelt unnötig aufgebrochen wird durch wild inszenierte Szenen mit Schwarzlichtfarben und Stroboskopgewitter. (Michael Brake / www.fluter.de)

Die Filmkritik beklagt oft den Mangel an deutschem Genrekino, an Thrillern, an Horror, an Action ohnehin. In diese Lücke stößt Michael Venus mit seinem Debütfilm „Schlaf“, der auf so überzeugende Weise Genremotive mit einer geradezu psychoanalytischen Analyse des deutschen Wesens verknüpft, wie man es im deutschen Kino selten gesehen hat… Immer mehr entwickelt sich „Schlaf“ zu einer dunklen Version des deutschen Heimat-Films, der nicht in malerischen Landschaften spielt, sondern im finsteren Unterbau der deutschen Geschichte, in dem die Vergangenheit nicht verarbeitet, sondern verdrängt ist. (Michael Meyns / www.programmkino.de)